Tag der 1000 Tauben

(erschienen bei Wild und Hund, Ausgabe 7/2010)

1. Januar 2010. Tausende Ringeltauben fallen jedes Jahr im Herbst im Nordwesten der Bundesrepublik ein. Als Teil- oder Kurzstreckenzieher überwintern sie immer öfter auch im westlichen Münsterland. Dort gibt es seit 13 Jahren am letzten Samstag im Januar einen ganz besonderen Jagdtag mit rekordverdächtiger Strecke, den Taubentag.

Der Mond steht wie ein blassroter Ball am Horizont. Gleich wird er untergehen. Es ist Samstagmorgen, 7.42 Uhr. Michael Öllerich (29) steht hinter dem grünbraunen Tarnnetz seines Schirms. Die Bockdoppelflinte hält er in den Händen, bei winterlichen Temperaturen von -1°C an diesem Morgen. Hinter ihm umkreist ein Flug Ringeltauben die Baumwipfel des kahlen Buchenbestandes. Die Tauben wollen in den Maisstoppeln einfallen. Reste goldgelber Kolben locken sie an. Michael duckt sich, schnellt nach oben, ein Schuss bricht aus der Bockdoppelflinte, eine Taube fällt. Die anderen streichen ab. Der vierjährige Deutsch-Drahthaar Rüde Asko folgt dem Appell „Apport“ und bringt die Taube. Ein paar Minuten später wiederholt sich das Ganze.
70 Jäger in 15 Revieren des Hegerings Alstätte-Ottenstein-Wessum-Graes sind heute unterwegs auf Wildtauben. Und auch Fuchs, Kaninchen, Krähe und Taube sind auf der 3.000 Hektar großen Fläche freigegeben. Eine Gemeinschaftsjagd der Superlative hat begonnen.
Seit Wochen hat der 29-jährige Jagdaufseher aus Ahaus-Wessum diesen Tag vorbereitet. Der Schirm vor dem Maisfeld ist selbstgebaut aus Gitterdraht und Tarnnetz. Dahinter, typisch für diese Landschaft, ein kleiner Flutgraben. Er rahmt das abgeerntete Feld ein, das den Tauben als Futterstelle bestens bekannt ist. Auf der anderen Seite des Grabens zeigt ein Senffeld seine gelbbraunen Halme. „Tauben sind gut da“, sagt Michael und hat dabei den Himmel über dem Schirm im Blick. Asko sitzt dicht vor ihm. Dessen Blick ist ebenfalls nach oben gerichtet. Er beobachtet die Baumwipfel des „Büschkens“, wie Michael den kleinen Buchenbestand mit Ilexbüschen hinter ihm bezeichnet. Der Wind weht leicht von Westen über das flache schneebedeckte Land an der Grenze zu den Niederlanden.
An diesen Tag werden hohe Erwartungen geknüpft. Die revierübergreifende Hegeringjagd sei eine einmalige Gelegenheit den Taubenbestand vor der Brutzeit merkbar zu dezimieren, erklärt Michael. Rings herum grollen im Sekundentakt die Schrotschüsse der Nachbarschützen wie ein herannahendes Gewitter. Immer wieder sind Taubenflüge von einem Büschken zum nächsten unterwegs.
Etwa 15 Meter vor dem Schirm dreht sich im Takt der Windräder das Taubenkarussell. Das hat Michael letzte Woche erst gebaut. Aus einer Autobatterie, einem Scheibenwischermotor, einem Haufen Eisen und einem Potentiometer. An nur einem Tag. „Bestellen hätte zu lange gedauert“, sagt er und ist gespannt, ob es heute funktioniert. So was klappt nur im Sommer, sagte ihm ein Jagdfreund, das locke nur die jungen Tauben an. Auf dem Karussell hat Michael seine beiden ersten Tauben als Lockvögel befestigt. Vorgestern hat er es ausprobiert, dabei fielen 40 Stück in knapp zwei Stunden.
Das liege aber nicht allein am Karussell. „Vor drei Wochen standen hier noch zehn Reihen Mais“, sagt er. Nach und nach hat er die Frucht mit dem Traktor umgefahren, damit die Tauben an die Körner der Kolben gelangen konnten. „Die wissen jetzt, wo es was Leckeres gibt.“ Auch an den übrigen fünf Ständen des 150 Hektar großen Reviers hat er in den letzten Tagen mit Mais gekirrt.
Michael ist Jagdaufseher im 150 Hektar Revier von Hubert Schulze-Kappelhoff. Der überlässt ihm die Taubenjagd. Seit 1. November ist er beinahe jedes Wochenende im Schirm. Auf den „Auerhahn des kleinen Mannes“ hat er Jagdfreunde aus Wanfried in Nordhessen angestellt. „Das sind meist reine Kugelschützen“, sagt Michael schmunzelnd. Er selbst geht regelmäßig in Wanfried auf Saujagd, ist auch Mitglied im dortigen Hegering.
Über dem Waldstück des Nachbarschützen sind hunderte Tauben zu sehen. Wie ein Hornissenschwarm, fünfhundert Meter entfernt und etwa fünfzig Meter hoch, ziehen sie in nördlicher Richtung. Der Flug wird von den Schüssen eines Jägers auseinandergetrieben. „Die sind zu hoch“, sagt Michael und duckt sich wieder in den Schirm. Denn jetzt sind sie in Bewegung und bleiben es, den ganzen Tag. Michael verfolgt angespannt die fliegenden Silhouetten der Taubenflüge am Horizont. Dann klingelt das Handy. Man tauscht sich aus, will wissen, wie viele Tauben schon gestreckt wurden.
Plötzlich tauchen fünf wie aus dem Nichts vor dem Schirm auf. Michael hat das Handy noch in der Hand und die Flinte steil nach oben gerichtet. Doch die Tauben nehmen Fahrt auf und suchen das Weite. Der angespannte Schütze setzt sich kurz auf den Sitzstock, sieht nach oben, steckt das Handy ein. Sein Hund hat die andere Seite im Blick. „Wenn der die Ohren spitzt, kommen Tauben“, sagt Michael, stellt sich wieder hin. Sitzen kann er an einem solchen Tag nicht lange.
Turmdohlen ziehen über das Büschken. Langsam hoppelt ein Feldhase auf siebzig Meter durch die Stoppeln. Er scheint zu wissen, dass er heute nichts zu befürchten hat. Michael zweifelt, ob das Taubenkarussell die Tauben anlockt oder vielmehr verscheucht. Für alle Fälle hat er auch die Locktauben dabei.
An eine Buche angelehnt hat der Wanfrieder Jagdfreund Claudius von Hagen (32) den Himmel über seinem Stand im Blick. Das Gesicht mit Sturmhaube und Hut verdeckt. Nach einer Stunde am Stand hat er bereits sieben Tauben geschossen. Er ist zufrieden. Immer wieder fliegen die Tauben die Baumwipfel über ihm an. Claudius kommt kaum zur Ruhe. Spannende vier Stunden hat er vor sich.
Allerdings sind die Bedingungen an diesem Tag nicht optimal. Die dünne Wolkendecke reißt gerade auf. „Trübes Wetter wäre besser“, sagt der erfahrene Taubenjäger, dann könnten die Tauben nicht so weit sehen. Seit seinem zwölften Lebensjahr beschäftigt er sich mit der Jagd. Dann sei er mit dem Virus „Taubenjagd“ infiziert worden. Als der gelernte Mauerer 2003 seinen Jagdschein machte, wurde ausgerechnet er über Tauben abgefragt. Da fuhr er zur Höchstform auf. Vor allem die richtige Platzierung der Locktauben ist für den Erfolg entscheidend. „In U-Form auf 15 Meter Schrotschussentfernung stelle ich die auf“, sagt Michael, während er einen Kaffee aus der Thermoskanne einschenkt. „Die Köpfe in Windrichtung, das U nach hinten offen“, das wirke wie eine Einflugschneise.
Im Waldstück gegenüber fallen dutzende Schüsse. Die Tauben werden hochgejagt, fliegen in 50 bis 80 Metern über Michaels Stand. Das Taubenkarussell dreht derweil einsam seine Runden. Plötzlich taucht ein Flug von fünf Tauben hinter Michael auf. Alles geht blitzschnell. Er schiebt die Waffe hoch über den Schirm, tritt aus der Deckung, gibt zwei Schuss ab. Der kleine Flug in 40 Metern Höhe wird auseinandergetrieben. Eine Taube fällt. Der Schütze lädt sofort nach. Drahthaarrüde Asko will schon aus der Deckung laufen. „Halt!“, zischt Michael, da kommt bereits der nächste Flug. Schätzungsweise 20 Tauben sind es jetzt. Michael schießt. Wieder fällt eine Geringelte. Der Schütze lädt nach. „Einfallen wollten die nicht“, sagt er kopfschüttelnd. Zwei Meter hat er vorgehalten. „Vielleicht fallen sie gegen Abend erst ein“, sagt er, den Blick weiterhin nach oben gerichtet.
Asko apportiert die Taube. Michael hebt den Finger, der Hund folgt und gibt aus. Der Schütze begutachtet seine Beute. Die Wildtaube ist fast 40 Zentimeter groß mit weißen Halsflecken und einem breiten weißen Band auf der Innenseite der Schwingendecke. „Eine Ringeltaube aus dem Norden“, sagt der Erleger und prüft die Muskulatur des Tieres. „Die wiegt fast ein Pfund“, Michael wippt das Tier auf seiner Handfläche. „Stadttauben sind schwammig und fett, die Zugtauben aus dem Norden sind muskulös und durchtrainiert“, weiß der Jäger.
Inzwischen hat Asko die nächste Taube apportiert. Michael hebt den Finger, Asko gibt aus. „Halt!“ Der treue Jagdbegleiter macht Platz. Michael belohnt ihm mit Streicheleinheiten, als sein Handy wieder klingelt. Der Nachbarschütze bittet Michael mit dem Hund eine Nachsuche zu machen. Sofort machen sie sich auf den Weg.
Claudius ist zum zweiten Mal als Jagdgast bei der Taubenjagd im Münsterland dabei. „Wir jagen Sauen, Rehe und Füchse, mal ein paar Enten“, sagt er beim gemeinsamen Mittagessen. Seine Strecke bis jetzt: 24 Tauben. Er hatte einfach einen guten Stand erwischt. Den tauscht er später mit einem, der am Vormittag weniger Jagdglück hatte.
Am Lagerfeuer auf dem Bauernhof des Jagdbeständers gibt es zur Krakauer-Bratwurst viele Geschichten und gute Ratschläge. Einer hat 14 Tauben und schießt die meisten aus dem Baum. Ein anderer hat 9 Tauben und rät Michael, das Taubenkarussell abzubauen. Der nächste schwört auf Locktauben, hat damit bis jetzt 29 Tauben zur Strecke gebracht.
Gegen 14 Uhr steht Michael wieder im Schirm. Das Taubenkarussell hat er abgebaut und zehn Locktauben mit den Köpfen in U-Form in den Wind gestellt. Der Himmel wird blauer, die Wolken verschwinden gänzlich. Silagegeruch zieht vom gegenüberliegenden Hof übers Feld. Ein Sprung Rehe steht auf 150 Metern am Wiesenrand, äugt in Richtung des Schirms. Bei Michael verfliegt die Hoffnung auf eine gute Taubenstrecke. Nur ab und an ein kleiner Flug. „So ist Jagd eben“, sagt er schmunzelnd.
An den Nachbarständen ist es stiller geworden. Die Sonne steht derweil tief im Westen. Wo der Mond am Morgen untergegangen ist, ziehen jetzt die ersten Kraniche auf der Suche nach einem Schlafplatz über die Baumwipfel. Zeit abzubaumen. Wieder klingelt das Handy, noch eine Nachsuche beim Nachbarn. Michael will gerade den Schirm verlassen, da kommt ein Flug Tauben direkt auf ihn zu. Die Locktauben scheinen sie jetzt zu interessieren.
Die Tauben umfliegen das Büschken hinter Michael. Der duckt sich in den Schirm. Die Flinte steil im Anschlag. Jetzt wollen sie einfallen. Der Schütze verlässt die Deckung, legt an, geht mit und schießt. Eine Taube fällt. Die anderen werden auseinandergetrieben und streichen in verschiedenen Richtungen ab. „So hätte es den ganzen Tag gehen können“, sagt Michael lächelnd. Asko apportiert, dann geht’s zur Nachsuche. 23 Tauben trägt Michael später im Galgen zum Auto.
An diesem Tag legt er 71 Tauben aus seinem Revierteil auf die Strecke. In 50er Reihen wird das erlegte Flugwild platziert. Nach und nach kommen die Jäger der teilnehmenden Reviere zum Schützenplatz Wessum-Averesch. Ihre Beute tragen sie in großen Plastikkörben zusammen. Gespannt zählt ein Jagdfreund Taube für Taube, Reihe für Reihe. Hermann Lentfort aus dem Revier Altstätte 1 hat allein 79 Tauben erlegt. Es bleibt spannend bis zum Schluss. Dann verkündet Hegeringleiter Stefan Woltering: ein Fuchs, eine Elster, 41 Krähen und 1.330 Tauben. „Dies ist nur an einem Tag möglich, wo alle zusammen jagen“, sagt Woltering noch. Die sechs Jagdkameraden aus Nordhessen erlegten zusammen 64 Tauben, 26 davon gehen auf das Konto von Claudius. Michael freut das. Jagdneid ist ihm fremd. Immerhin hat er bislang geschätzte 700 Tauben zur Strecke gebracht.
Orangerot geht jetzt der Vollmond über der Jagdgesellschaft auf, die Bläser verblasen Fuchs und Flugwild. Im Licht des Lagerfeuers liegt als Zeugnis einer erfolgreichen Jagd eine imposante Strecke. Später werden die Tauben zu 25 Stück in Säcke verpackt und sofort zum Wildhändler gebracht. Pro Taube gibt es von dem 30 Cent. Einige Jäger kaufen etwas Wildbret direkt von der Strecke, für den Eigenbedarf. Der Erlös von 399 Euro wird vom Hegering auf 450 Euro aufgestockt und zugunsten von Familien in Not gespendet. Auch das ist zur Tradition geworden.
So geht eine gemeinschaftliche und anspruchsvolle Flintenjagd zu Ende, voller Spannung und viel Waidmannsheil.

Wildkatzenrevier Schlierbachswald

10. April 2013_Gut Marienhof. Im nordhessischen Völkershausen bei Wanfried liegt hoch über dem Werratal idyllisch der Marienhof. Der Gutshof aus dem 18. Jahrhundert ist umgeben vom Schlierbachswald, einem Laubmischwald, in dem seit Jahrhunderten Lärchen für die Masten unzähliger Segler geschlagen wurden. Der alte Eichenbestand ist ein Relikt aus vergangenen Tagen, als in der nahegelegenen Kreisstadt Eschwege die Lohgerberei ihren Höhepunkt hatte. Dieser Wald bietet Lichtungen und Dickungen, das angrenzende Feld und die Schlehenheckenstreifen sind nicht nur der Goldammer eine gute Deckung und sorgen für einen reich gedeckten Tisch an der Grenze zu Thüringen, vielmehr ist auch das Grüne Band, das entlang der ehemaligen deutsch-deutschen Grenze verläuft ein Kleinod für Wildtiere, zu denen auch die Waldkatze zählt.
Seit einigen Monaten beobachten Gutsbesitzer Maria und Hubertus Roeder von Diersburg die scheuen Katzen immer wieder an unterschiedlichen Stellen im Schlierbachswald. „Es ist immer wieder ein großer Moment für uns, diese Katzen auf einer Waldwiese oder im Bestand mit ihren Welpen zu beobachten“, sagte Hubertus Roeder von Diersburg. Es gelang Fotos zu schießen und die Beobachtungen auch via Facebook mit anderen zu teilen. Das Interesse an der Katze, die bereits vor mehr als 300.000 Jahren durch die mitteleuropäischen Wälder zog, wächst ständig. Wer die Katze in der Natur erkennt, sie also von der Hauskatze unterscheiden kann, ist somit zum „Wildkatzenkenner“ geworden und wird dann mit ganz anderen Augen durch den Wald gehen, da sind sich Jagdverein und Waldbesitzer sicher.
„Wir sind ein anerkannter Naturschutzverband und für den Schutz der Wildkatze zuständig“, sagt der Vorsitzende des Jagdvereins, Reiner Stelzner, während der Begrüßung zum Wildkatzentag auf dem Marienhof Anfang Mai. Über 90 Besucher fanden sich zum Naturerlebnistag ein, den der Jagdverein und die Roeders gemeinsam veranstalteten. Die Jaghornbläser gaben verschiedene Jagdsignale und stimmten auf einen Tag in der Natur ein, Wildschweinbratwurst vom Grill stand zur Stärkung der Naturliebhaber bereit.
Die Hauptrolle spielte an diesem Tag aber das „Flaggschiff“ oder die „Leittierart“, wie Dr. Jörg Brauneis die Wildkatze nannte. Sie kommt in den letzten Jahren vermehrt im Werra-Meißner-Kreis in diesem Gebiet vor. Mit Wanderungen durch Wald oder Feld, einem Fachvortrag und einem Lehrprogramm für Kinder wurden die Gäste über drei Stunden mit Wissenswertem aus der Natur an den Lebensraum der Wildkatze herangeführt. „Sie dürfen natürlich nicht erwarten, dass Sie jetzt sofort einer Wildkatze begegnen“, sagte Hubertus Roeder von Diersburg zu Beginn der Veranstaltung. Schließlich handle es Wildtiere, die nur im Aussehen der Hauskatze ähnlich seien, im Verhalten aber scheu blieben. Dass diese Tierart im Schlierbachswald anzutreffen sei, versicherte der Experte Dr. Brauneis und erläuterte beim Gang entlang des Grünen Bandes, den Lebensraum der Waldkatzen, die offene Laubwälder, warmes Klima und Gegenden, in denen es viele Mäuse zu jagen gibt, bevorzugten. Ganz nebenbei wurde der Gang durch das Revier der Wildkatzen von vorbei fliegenden Rotmilanen, Goldammern und Feldlerchen bereichert. Vogelstimmen von Baumpieper, Mönchsgrasmücke oder Zilpzalp ordnete der Ornithologe zu, erklärte die Vorzüge einer Blühfläche am Waldrand, wo Reh und Hase äsen, aber auch der Luchs und die Waldkatze auf Beutefang gehen. Der Tag über die Wildkatze war ein Erlebnistag in der Natur, der durch die Jagdhornbläser des Jagdvereins und die Wildschweinbratwurst vom Grill für alle Sinne geeignet war.
Und am nächsten Tag gelang es dem Jäger Michael Öllerich aus Ahaus auf einer Kuhweide am Gutshof noch Bilder einer jagenden Wildkatze zu machen, die ihre Merkmale gut zeigen. Waidmannsheil, dem Fotografen.

Wildschweine im Winterwald

Januar 2013
Während die Tage kurz und Nächte lang sind, ist Rauschzeit bei den Wildschweinen. Die Keiler streifen durch die Wälder, auf der Suche nach Rotten, in denen es rauschige Bachen gibt. Die sind nur wenige Tage empfängnisbereit, werden sie dann vom Keiler beschlagen, kommen nach drei Monaten, drei Wochen und drei Tagen im Schnitt fünf Frischlinge zur Welt. Damit hat der Keiler seinen Teil an der Familiengeschichte auch schon erfüllt, er zieht den Rest des Jahres allein weiter.
„Wildschweine leben in Familienverbänden zusammen, alle Stücke einer Rotte sind miteinander verwandt“, sagt der Wanfrieder Revierförster Hermann Müller. Eine erfahrene Leitbache ist also Familienoberhaupt und bestimmt die Rauschzeit all ihrer Töchter. Sie schließen sich dem Geschlechtszyklus der Mutter an und bekommen zur gleichen Zeit ihre Frischlinge. Damit haben dann alle Tier einer Rotte die gleichen Bedingungen, was das Überleben einer Familie von bis zu 30 Stücken leichter macht. „Die Leitbache sorgt auch dafür, dass die Töchter nicht zu früh geschlechtsreif werden“, erklärt Müller, die männlichen Nachkommen würden mit etwa einem Jahr aus der Familie vertrieben. Bis zu 100 Kilometer und weiter können sie dann durchs Land ziehen. Inzucht wird so vermieden, die Rotte bleibt stark und gesund. So „Schulbuch reif“ geht es aber nicht bei allen zu. Auch aufgrund des guten Nahrungsangebots und falscher Abschüsse bekommen einige Bachen zweimal im Jahr Frischlinge, etwa die Hälfte kommen nicht April/Mai, der Hauptfrischzeit, sondern übers ganze Jahr verteilt zur Welt. Die Bestände steigen stetig an.
In Hessen soll es an die 200.000 Wildschweine geben. „Eine Begegnung mit ihnen beim Waldspaziergang ist aber selten“, sagt der Revierförster Hermann Müller. Ursprünglich als tagaktive Tiere bekannt, kommen sie seit einigen Jahren überwiegend nachts aus den Dickungen. Mit ihrem dicken schwarzbraunen Borstenkleid ziehen die Rotten jetzt durch den hohen Schnee, immer auf der Suche nach etwas Fressbarem. Gerade bei Minustemperaturen und in der Rauschzeit, verbrauchen sie viel Energie. Im Sommer und Herbst haben sie sich dafür viel Weißes angefressen, neben Eicheln und Bucheckern im Wald, bieten die Mais- und Weizenfelder einen reich gedeckten Tisch. Besonders die Vollmast in Buchen- und Eichenwäldern, die in den vergangenen Jahren vermehrt auftrat, gebe den Hauptimpuls für viele Nachkommen.
Die Jagd ist hier das Mittel zur Reduktion. „Am effektivsten sind die großräumigen revierübergreifenden Bewegungsjagden im Herbst“, erklärt Müller, und der Werra-Meißner-Kreis liefert dazu imposante Zahlen: laut Auskunft der Unteren Jagdbehörde kamen in den vergangnen zehn Jahren im Kreisgebiet bis zu 4.600 Wildschweine im Jahr zur Strecke, in ganz Hessen sind es bis zu 80.000 pro Jahr.
Doch die Jagd scheint aber manchmal nur der Versuch zu sein, die Population dieser Tiere im Zaum zu halten und die Gefahren von Schweinepest sowie von Unfällen mit dieser Wildart auf Landstraßen und Autobahnen so gering wie möglich zu halten. Denn trotz aller jagenden Waidmänner wird sich auch in diesem Jahr die Wildschweinpopulation wieder einmal verdreifachen.